Der 1968 geborene Brite Julian Baggini behauptet in der Einleitung zu Wie die Welt denkt. Eine globale Geschichte der Philosophie, dass Philosophie wichtig sei (was angesichts der Tatsache, dass er studierter Philosoph ist, wenig überrascht), auch wenn der Durchschnittsmensch keine grosse Ahnung vom tieferen Sinn der Konzepte, die sein Leben informieren (die Harmonie bei den Chinesen oder die individuelle Freiheit bei den Amerikanern und Europäern) hat bzw. zu haben braucht. Doch ebenso gilt: "Dass Pawel in Krakau und Priti in Delji aufgewachsen ist, erklärt besser, warum Pawel an den auferstandenen Christus und Priti ans Karma glaubt, als jede theologische Begründung, die die beiden liefern könnten."
Wie die Welt denkt. Eine globale Geschichte der Philosophie setzt sich mit den Ideen auseinander, die unser Dasein prägen. Da Julian Baggini auch journalistisch unterwegs ist und damit einen Sinn fürs Alltägliche hat, ist dafür gesorgt, dass er sich nicht in Sphären verliert, in denen allein die intellektuelle Überheblichkeit herrscht. Dazu kommt seine vom Journalismus inspirierte Herangehensweise: Er hat für dieses Buch zahllose Gespräche mit Philosophinnen und Philosophen aus aller Welt geführt.
Die Tatsache, dass die schriftliche Philosophie in China, Indien und Griechenland in etwa zu gleichen Zeit, doch unabhängig voneinander entstanden ist (um 550 vor Christus), ist einerseits ein Rätsel, und legt andererseits die Vermutung nahe, wir Menschen verfügten wohl über mehr Gemeinsamkeiten als wir gemeinhin annehmen. Dass wir jedoch vor allem die Unterschiede leben (wollen), zeigt Autor Baggini anhand der Tagung des Indian Philosophical Congress (IPC), bei der "eine starke Gegnerschaft gegen die westliche Kultur und Philosophie zu spüren" war.
Da mir das einschlägige Wissen abgeht, um dieses Werk angemessen würdigen zu können, beschränke ich mich auf ein paar wenige Aspekte, die meine Aufmerksamkeit geweckt haben. Auch will ich auf den gerade erwähnten IPC kurz eingehen, da er divergierende Weltanschauungen offenbar machte.
"In Europa und Amerika würde ich erwarten, dass ein Eröffnungsvortrag eine These präsentiert, die in wesentlichen Hinsichten neu und originell ist. Auf dem IPC hingegen waren die Vorträge eher Ausweise für die Belesenheit der Referenten, deren Hauptaufgabe offenbar darin bestand, eine traditionelle philosophische Schule zu repräsentieren." Man könnte dies jetzt natürlich soziologisch, historisch, ethnologisch oder psychologisch erklären. Julian Baggini erläutert die philosophische Sichtweise. "Um zu erklären, wie Philosophie betrieben wird, muss man die Ideale erklären, die diese Praxis zu verkörpern sucht. Was aber sind die Ideale, die der Art und Weise zugrunde liegen, auf die die Philosophen in Indien ihre Ideen präsentieren?"
Die Probleme, die sich bei solchen Fragen stellen, sind sowohl theoretischer (Etwa: Wie trennt man die indische Philosophie von der durch Meditation erlangten mystischen Einsicht?) als auch praktischer Natur (Autoritäten werden in der ostasiatischen Welt nicht angezweifelt). Auch erweisen sich die Gespräche mit indischen Philosophen mitunter eher verwirrend als erhellend. So befragte er eine Referentin zum Verhältnis von Religion und Philosophie, die beide stark miteinander verwoben sind. "Wir können den Leuten ihre religiösen Gefühle nicht einfach wegnehmen", sagte sie, "Religion ist eine tief verwurzelte, unbewusste Aktivität."
Speziell angesprochen haben mich die Ausführungen zur Leere. "Das Konzept der Leere ist der westlichen Philosophie ebenso fremd wie es für viele ostasiatische Traditionen von zentraler Bedeutung ist." Im Westen richtet man seine Aufmerksamkeit auf Dinge, in Ostasien schenkt man auch stets dem Raum zwischen den Dingen Beachtung. Im Westen liegt der Fokus auf dem Individuum, in Ostasien auf den Beziehungen zwischen den Individuen. Die Leere wird in Ostasien nicht nur als Absenz, sondern auch als Präsenz verstanden.
Das erinnerte mich auch an einen Beitrag in der
International Herald Tribune übers
Glücklichsein. Ein Foto zeigte ein lachendes Kind in einer Gruppe von Menschen. Westler automatisch assoziierten damit Glück, Japaner hingegen nur dann, wenn auch die anderen auf dem Bild lachten.
Es gibt Stimmen (etwa Stephen Hawking), die behaupten, die Philosophie habe sich überlebt, da sie mit den modernen Entwicklungen der Wissenschaft nicht mitgehalten habe. Nur eben: Viele Fragen der Philosophie gehören gar nicht in den Bereich der Wissenschaft. Man denke an Probleme der Moral oder der politischen Theorie. Und auch "um die Welt so zu erklären, wie sie uns in der gelebten Erfahrung erscheint", genügt die Wissenschaft nicht, sind metaphysische Überlegungen vonnöten.
"Der Geist-Körper-Dualismus ist im Westen zu einer so selbstverständlichen Denkweise geworden, dass man leicht glauben könnte, er sei eine Universalie der Menschheit." Nur eben: Das ursprüngliche christliche Denken war ein ganz anderes, ging es doch davon aus, dass Seele und Körper nicht getrennt seien. Man denke etwa an die Auferstehung Christi. "Nicht die Seele Jesu ist in den Himmel aufgestiegen, sondern er selbst, einschliesslich seines Körpers." Solcher Erkenntnisse wegen lese ich Bücher!
"Ideen sind weder fest an bestimmte Kulturen gebunden noch sind sie frei schwebend, universell und ortlos. Wie Menschen werden sie von einer Kultur geformt, können aber reisen." Weshalb denn auch Julian Baggini die Einnahme multipler Perspektiven befürwortet. Das heisst jedoch nicht, dass es keine universellen Überzeugungen geben kann. So sind sich alle philosophischen Schulen einig, dass "das konventionelle Selbst, die Art und Weise, wie wir normalerweise von uns selbst und anderen denken, illusorisch ist. Dieses Selbst ist lediglich ein Strom von Erfahrungen, ein Bündel von Wahrnehmungen, das keine bleibende Essenz hat." Diese Erkenntnis wiederum wird von verschiedenen Schulen verschieden interpretiert. Für Genaueres greife man zu diesem exzellent geschriebenen Werk!
Fazit: Ein Buch voller spannender Überlegungen und Denkanstösse. Höchst anregend.
Julian Baggini
Wie die Welt denkt
Eine globale Geschichte der Philosophie
C.H. Beck, München 2025