Sunday, 18 May 2025

Buildings for People and Plants


It is rare, very rare, that when glancing through a tome with pictures of architecture that I feel entranced by what my eyes are showing me. And, while this quite often happens when looking at images of nature, it is seldom the case when looking at man-made stuff. Needless to say, it is not only the architecture that fascinates me, it is also the presentation, the photographs, that is, that show me what the photographer has decided to frame, and thus to make me look at.

"We try to maintain a childlike sense of wonder, both in our design process and our finished projects.", I read in the introduction, and this sense of wonder can be also experienced when looking at these pics that were taken (for seven of the ten projects in the book) by Bruce Damonte. Another photographer that needs to be mentioned is Miguel de Guzmán. We do not look simply at truly fascinating architecture, we look at it through the eyes of these gifted photographers.

Transforming parking into a social experience with a vertical 
 stack of public spaces, including a gallery, play area, garden, 
and more © Imagen Subliminal

The essay Civics Lessons for an Uncertain Age by Nicolai Ouroussoff lets the reader/the viewer know that "under the colorful packaging, these projects are informed by a stubborn determination to reengage what is left of the public sphere." Not only a laudable but also a necessary endeavour. "Over time, as the architects became more established and the budgets got bigger, the geometries got more complex. Yet the interest in how public buildings can serve as places of common ground remains."

Come to think of it, it is pretty obvious that buildings do not stand alone. After all, everything is somehow connected. We all influence each other in ways we are hardly aware of. To emphasise the already exisiting connections and to establish new ones is the goal of the architects of WORKac. Contemplating what they have created gave me feelings of joy and lightness.

A vibrant hub for student life and a new campus entry © Bruce Damonte

There's also a conversation between Amale Andraos and Dan Wood, both cofounders of WORKac, and Heidi Zuckerman, "a globally recognized leader of contemporary art" (what would Americans do without superlatives, I wonder?), that is introduced by Zuckerman asking: "How does art inspire your practice and why do you think it matters?" I must admit that the answers by the architects I did not find very inspiring ("One learns to value life through art."), which isn't too surprising since, as one of the two points out, architects (bound by various constraints) and artists (very few constraints) work in very different way.

What I liked best about this conversation is Heidi Zuckerman's remark: "the more you look, the more you see.", that describes precisely my experience with this impressive tome that documents beautifully what the WORKac architects see as their mission: "We don't think of buildings as isolated objects, Rather, we enlist their power to frame, reexamine and reinvent relationships – between citizens and cities, public and private space, the individual and the collective, inside and outside, and people and plants."

An aesthetic pleasure of the first order!

WORKac
Buildings for People and Plants
Park Books, Zurich 2025

Wednesday, 14 May 2025

Peanuts. 100 Seiten

Ich bin Peanuts-Fan, habe mir während Jahren immer mal wieder einen dieser Comicstrips aus der Zeitung ausgeschnitten. Einige sind mir geblieben, kann ich frei zitieren (und tue es auch gelegentlich). Dazu kommt: Als ich vor Jahren angefangen habe, Portugiesisch zu lernen, haben mir die Peanuts-Comics dabei geholfen.

Wahrgenommen habe ich die Peanuts immer als lustig und streetwise, ernsthaft auseinandergesetzt habe ich mich nicht mit ihnen. Als ich jetzt auf dieses Zitat des Peanuts-Schöpfers Charles M. Schulz stosse: "Das grundlegende Thema der Peanuts war von Anfang an die Grausamkeit, die unter Kindern existiert." bin ich verblüfft und überrascht. Und werde ausgesprochen neugierig auf das, was Joachim Kalka, der Autor dieses Büchleins, noch alles auf Lager hat.

    Zu Snoopy notiert er: "Das Interessante an diesem Comic-Hund ist es, mit welcher Konsequenz er sich weigert, die klassische Rolle des Hundes zu erfüllen: die des Begleiters." Und Lucy, deren psychiatrische Praxis dazu dient, Charlie Brown auf seine Fehler aufmerksam zu machen, und findet, dass die  Psychiatrie eine exakte Wissenschaft ist, antwortet auf Charlie Browns "Eine exakte Wissenschaft?!, mit "Ja, du schuldest mir exakt einhundertdreiundvierzig Dollar!"

Joachim Kalka erläutert, ordnet ein und versteht klarzumachen, einleuchtend und nachvollziehbar, weshalb Charles M. Schulz macht, was er macht. Der Akzent liegt dabei auf: Wie mache ich es, dass ein Comicstrip gut funktioniert. Das ist auch Kalkas Domäne und so ist wenig erstaunlich, dass ich selber manchmal zu ganz anderen Schlüssen komme. Ein Beispiel: Linus ist abhängig von seiner Schmusedecke und will sie sich abgewöhnen. Als ihm das schlussendlich gelingt und er überglücklich ist, von seiner Sucht geheilt zu sein, gibt ihm Charlie Brown eine neue Decke. Kalka kommentiert: "Der Strip kann eben auf so ein zentrales Strukturelement nicht verzichten." Ich selber finde, dies zeige noch etwas ganz anders, nämlich, dass man von einer Sucht nicht so schnell loskommt. 

Wunderbar, worauf Joachim Kalka alles aufmerksam macht. "Snoopy beschliesst, Krieg und Frieden zu lesen: Jeden Tag ein einziges Wort."  Zu Snoopys Tagräumen gehört auch, dass er sich als Schriftsteller sieht. "Während ein Hemmnis für Snoopys Romanproduktion in seiner Einfallslosigkeit liegt, ist sein anderes das beschränkte Wissen." Das sind in der Tat nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein Schriftstellerleben!

Ganz besonders beeindruckt hat mich Kalkas Herausschälen von Grundlegendem. Einerseits, weil es mir Augenöffner angetan haben, andererseits, weil mir damit eine Perspektive eröffnet wird, die ich als bereichernd erlebe. So ist etwa Snoopy ständig mit Selbstinszenierungen beschäftigt, beschränkt sich Charles M. Schulz auf einige wenige Topoi, und lässt sich von den Jahreszeiten leiten. Keine Frage, das wird vermutlich den meisten auffallen, die sich mit den Peanuts auseinandersetzen, doch wer tut das schon und dann noch mit einem so guten Auge wie Joachim Kalka?

Ständig ist der Fernseher an; Lucy ist aggressiv, Charlie Brown ist es nicht. In seiner Unbeholfenheit, seinem ständigen Scheitern, zeigt sich auch, dass die Welt der Kinder oft das genaue Gegenteil einer Idylle ist. "Es ist gewiss die mit grosser Subtilität inszenierte Kinderperspektive, die den Strip so faszinierend macht: eine Welt von Wesen, welche in den Begrenzungen der Kindheit gefangen sind und sie gleichzeitig überwinden oder ignorieren."

Joachim Kalkas Blick auf die Peanuts lässt sie mich ungewohnt und neu sehen. Bravo!

Joachim Kalka
Peanuts. 100 Seiten
Reclam, Ditzingen 2025

Sunday, 11 May 2025

Russland gegen die Moderne

Es sei gleich voran geschickt: Dieses Buch wurde im Jahre 2022 verfasst, die englische Originalausgabe erschien 2023. Zudem: Dies ist ein akademisches Werk, operiert also mit Thesen und beschäftigt sich ausgiebig mit Definitionen. Für mich wurde die Lektüre immer dann spannend, wenn die Ausführungen konkret wurden. "Noch im Januar 2022 erachteten sowohl meine russischen als auch ukrainischen Freund:innen und Kolleg:innen die Wahrscheinlichkeit eines Einmarsches als verschwindend gering und allein den Gedanken als lachhaft," Auf die Idee, dass es daran liegend könnte, dass man Irrationale nicht rational erklären kann, kamen die Rationalen allerdings nicht. Nach wie vor huldigen sie der Vorstellung, was zur Zeit auf der Welt geschieht, sei rational erklär- und begreifbar. Das ist die Definition von irrational.

Zu den Begriffen, denen sich der Autor annimmt, gehört auch "die neue Moderne", die "zwischen dem Planeten und seinen Menschen ausgehandelt wurde". Ich kann mir viel vorstellen, doch ein solches Aushandeln dann eben doch nicht. Genauso wenig wie was eine Gaiamoderne sein könnte. Zu Gaia siehe  die Ausführungen von James Lovelock.

Akademiker zeichnet aus, Banales in Hochtrabendes zu verwandeln. "Moderne Nationen entwickeln sich in einem Balanceakt zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat." Und dass der Mensch ohne Vertrauen so ziemlich am Arsch wäre, weiss man auch ohne gescheite Leute wie Niklas Luhmann. Wie funktioniert aber ein Staat, dem die Bürger der Obrigkeit nicht trauen, da sie wissen, dass sie ständig angelogen werden, wie in Russland während Covid-19? "In einer ungleichen und anti-intellektuellen Gesellschaft jedoch glaubte niemand den Fachleuten, weder die Bevölkerung noch die Elite. In der Bevölkerung sah man sie als Teil der Elite und entzog ihnen das Vertrauen, und die tatsächliche Elite aus Managern und Staatsbeamten zählte sich nicht zu ihresgleichen und traute ihnen ebenfalls nicht."

Dass Russland, abhängig von Petrodollars und Gas-Euros, den Klimawandel leugnet, ist wenig überraschend. Wer sich die amerikanische "Who profits?"-Frage zu eigen macht, gelangt meist schnell zum Kern vieler politischer Probleme. Alexander Etkinds überaus detaillierte Ausführungen bringen  jedoch Verblüffendes ans Licht, das diesen Kern ganz neu beleuchtet. "Nur ein Prozent der russischen Bevölkerung war in der Ölindustrie tätig, und ein erheblich geringerer Anteil an Menschen profitierte davon. Dennoch erwirtschaftete die Branche weit mehr als die Hälfte des Staatshaushalts."

Höchst differenziert zeigt Alexander Etkind auf wie Russland an ganz unterschiedlichen Fronten (von der Homophobie zur Unterstützung rechtextremer Bewegungen, von systematischen Lügen zur Verbreitung von Korruption) gegen den Westen schiesst, mit dem Ziel das Vertrauen in den Staat zu unterminieren. Dabei macht er einem auch bewusst, dass die moralfreien Polit-Amateure im Weissen Haus gegen die moralfreien Polit-Profis im Kreml keine Chance haben.

Ob das russische Gebaren wirklich von strategischen Überlegungen geleitet wird, wie das Alexander Etkind und andere Akademiker insinuieren, da bin ich mir nicht so sicher, da ich davon ausgehe, dass der Mensch nicht wirklich weiss, was er tut. Andererseits versteigt sich der Autor nicht einfach in Theorien, sondern orientiert sich am Verhalten der Russen. Und dieses lässt seine Rückschlüsse in der Tat sehr plausibel erscheinen. Nur eben: Was uns einleuchtet, muss deswegen noch lange nicht so sein.

Was dieses Werk für mich lohnenswert macht, ist die ungeheurere Dichte an Informationen, die der Autor vorlegt. Ganz besonders aufschlussreich sind so Sätze wie: "Und die bei der Elite beliebten Banken – unter anderem Credit Suisse und Deutsche Bank – waren ebenfalls im Bilde.", machen sie doch deutlich, dass wenn es wirklich eine einheitliche Front gegen Russland gäbe, das Regime kaum überlebensfähig wäre.

Mir fehlt zwar der Wissenshintergrund, um dieses Werk angemessen würdigen zu können, doch die Vielzahl der Erkenntnisse, die mir dieses Werk vermittelt, sind echte Augenöffner. Einige will ich hier teilen: "Sämtliche Petrostaaten waren zutiefst ungleich." Putins Vorgesetzte beim KGB sahen als seine einzige Schwäche sein "vermindertes Gefahrempfinden". "Der Unterdrücker verübt seine Gräueltaten zwar frei von jeder Vernunft, erklärt sich aber eifrig. Nicht seinem Opfer gegenüber, aber für das Publikum zu Hause und im Ausland hält er Begründungen bereit."

Nun gut, einen Russland-Ignoranten wie mich zu beeindrucken, ist nicht allzu schwierig. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass ich alle offiziellen russischen Verlautbarungen für Lügen halte, und allem, was man inoffiziell zu wissen glaubt, mit Skepsis begegnen. "Vor 2022 gab es in Russland 83 Milliardäre ("Forbes") und 269.000 Millionäre (Credit Suisse). Die tatsächliche Zahl der Reichen und Mächtigen im Land lag irgendwo dazwischen – wenige zehntausend. Über sie wissen wir nur sehr wenig." Wie Alexander Etkind auf diese wenigen zehntausend kommt, erläutert er nicht.

Mein Lieblingskapitel ist "Die unerträgliche Leichtigkeit westlicher Expert*innen". Was seit 2014 in der Ukraine geschieht, bezeichnet der Autor zutreffend mit Russisch-Ukrainischer Krieg. Die westlichen Einschätzungen sogenannt anerkannter Grössen sind aus heutiger Sicht überaus peinlich. Man sollte sich die einschlägigen Namen merken (unter ihnen Adam Tooze, Niall Ferguson, John Mearsheimer), auf dass man sich künftig an ihre Inkompetenz erinnere.

Russland gegen die Moderne ist ein beeindruckend informatives Werk. Alexander Etkind plädiert nicht nur für die Idee eines deföderierten Russlands, er sagt den Zerfall der Russischen Föderation voraus. 

Alexander Etkind
Russland gegen die Moderne
Eine "Spezialoperation" zur Unterdrückung der gesellschaftlichen Transformation
transcript Verlag, Bielefeld 2025

Wednesday, 7 May 2025

Bürokratopia

Mit der Bürokratie habe ich noch nie etwas Positives verbunden, ich halte sie, wie das der britische Anthropologe Nigel Barley einmal treffend auf den Punkt gebracht hat, für an end in itself. Allerdings merke ich bereits auf den ersten Seiten von Bürokratopia, dass ich mir dazu recht wenig Gedanken gemacht und offenbar Wesentliches nicht beachtet habe.

Da die Autorin Julia Borggräfe Juristin ist, muss ich gleich noch einmal über meinen Schatten springen, denn mit Juristen (ich habe selber ein Jurastudium absolviert), assoziiere ich so ziemlich gar nichts, das ich hilfreich finde. Im vorliegenden Fall habe ich mich jedoch insofern getäuscht, als mir dieses Buch bewusst macht, wie notwendig eine funktionierende Verwaltung für das Gelingen der Demokratie ist.

Dass die Verwaltung unser Leben weit mehr bestimmt als die Politik, ist mir schon lange klar. Jedenfalls theoretisch. Umso verblüffter bin ich jetzt, dass ich mir über die Funktionsweise der Verwaltung bislang noch nie wirklich nachgedacht habe. "Der Zusammenhang zwischen einem funktionierenden Staat und einer starken Demokratie hat sich bei den politischen Verantwortungsträger:innen noch nicht durchgesetzt – obwohl dieser mehr als offensichtlich ist." Man sieht gerade in den USA, was passiert, wenn die politisch Verantwortlichen keinen Schimmer davon haben, was Verantwortung bedeutet.

Die Verwaltung hat sich am Gemeinwohl zu orientieren. "Verwaltungsakte mögen für Einzelpersonen mitunter belastend sein, aber sie dienen der Aufrechterhaltung von Ordnung und Gerechtigkeit. Daraus, dass Verwaltungsentscheidungen auf Gesetzen basieren, die durch demokratische Prozesse legitimiert und durch das Rechtssystem überprüfbar sind, ergibt sich ihre Verbindlichkeit für alle Bürger:innen." Auch wenn ich das mit der Gerechtigkeit entschieden weniger idealistisch sehe, so bringt dies auf den Punkt, weshalb die Verwaltung so wesentlich ist: Sie vermittelt Stabilität. Und nichts ist den Menschen wichtiger.

Julia Borggräfe diagnostiziert einen Vertrauensverlust in den Staat und plädiert für Bildung, den "Rohstoff, aus dem individuelle und gesellschaftliche Zukunft gemacht wird." So nachvollziehbar ihre Forderung auch ist, besonders innovativ scheint mir dieser Ansatz nicht, auch deswegen nicht, weil die Charakterbildung in der Schule keinen Platz hat und das vermittelte Fachwissen nach Abschluss der Ausbildung oft obsolet geworden ist.

Studien werden angeführt, Beispiele aus anderen Ländern herangezogen. So funktioniert der Schulunterricht etwa in Finnland (kooperativ, von unten nach oben) ganz anders als in Deutschland (Top-down-Prinzip). Auch für die Digitalisierung macht sich Julia Borggräfe stark. Nun ja, wer sich einmal längere Zeit in Ländern, wo regelmässig der Strom ausfällt, aufgehalten hat, wird das womöglich etwas weniger positiv sehen.

Aufgestossen ist mir das Vokabular.  Ein Titel wie "Modernes Personalmanagement als Treiber von Verwaltungsinnovation" lässt mich automatisch aufstöhnen. "Employer Branding", "Work-Life-Balance", "Strategische Personalplanung und -entwicklung" etc. ist der übliche Beraterjargon. Ein Satz wie "In der heutigen dynamischen und komplexen Welt spielt Führung eine entscheidende Rolle für den Erfolg von Innovations- und Transformationsprozessen, gerade auch in der öffentlichen Verwaltung", finde ich schlicht unerträglich. Nichtssagender geht kaum.

Je mehr meine Lektüre voranschritt, desto öfter ging mir dieses Zitat von Robertson Davies (aus A Mixture of Frailties) durch den Kopf: His reply had that clarity, objectivity and reasonableness which is possible only to advisors who have completely missed the point. Der Punkt hier ist der Faktor Mensch, an dem dieses Werk völlig vorbeigeht. So wird zum Beispiel differenziert und einleuchtend ausgeführt, weshalb der Klimawandel zu den "wicked problems" und mittels strategischer Vorausschau angegangen gehört. Dabei wird jedoch vollkommen ausser Acht gelassen, dass für unser Hirn nur die nähere Zukunft, nicht aber die entferntere emotional (Verstehen ist ein Gefühl) begreifbar ist.

Bürokratopia ist detailliert, informativ, verständlich geschrieben; vor allem die Analyse lohnt. 

Julia Borggräfe
Bürokratopia
Wie Verwaltung die Demokratie retten kann
 Wagenbach, Berlin 2025      
                      

Sunday, 4 May 2025

Trees, Time, Architecture!

Diesem Band liegt die Ausstellung Trees, Time, Architecture im Architekturmuseum der Technischen Universität München zugrunde, jedoch vom Schema der Ausstellung hie und da abweicht. "Das Zusammenspiel verschiedener Genres – Lebensbericht, Werkschau, Fotodokumentation und wissenschaftliche Analyse, um nur einige zu nennen – und das Einbringen der Ich-Perspektive in dieses Buch sollen dazu beitragen, den Baum als Kulturwesen, als Haupt- und Leitfigur verschiedener Berufe und Wissenschaften zur Geltung zu bringen."

Wir leben in hektischen Zeiten, alles muss schnell gehen. Bäume machen da nicht mit, haben ihren eigenen Lebensrhythmus. Sie wachsen extrem langsam. "Sie sprengen die Massstäbe des menschlichen Lebens und ihre Zeit steht im Widerspruch zu einem sich ständig beschleunigenden, technologischen und ökologischen Wandel." Kein Wunder, ist unser Verhältnis zu ihnen ziemlich, nun ja, komplex. "Wir haben sie vergöttert, uns vor ihnen gefürchtet unsere Häuser aus ihnen gebaut, sie aus unseren Städten verbannt, Hochhäuser mit ihnen geschmückt und schon vor Jahrhunderten Tausende Quadratkilometer grosse Wälder vernichtet.", schreiben Ferdinand Ludwig und Kristina Pujkilovic in ihrem Beitrag "Baum, Zeit, Architektur!"

Von Architektur und Bauen verstehe ich nichts, weshalb ich dieses Werk auch nicht angemessen zu würdigen imstande bin. Und so beschränke ich mich auf das, was ich glaube beurteilen zu können (mit der dokumentarischen Fotografie habe ich mich eingehend beschäftigt): Die fotografische Reise durch die Xylella-Epidemie in Apulien, die Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi unternommen haben.

Sieben Jahre lang haben die beiden mit  Amerkennung und Preisen Überhäuften (ob dies eine Auszeichnung ist, sei einmal dahingestellt; meines Erachtens ist offizielle Anerkennung, wie James Agee in "Let Us Now Praise Famous Men" ausführte, ein fatales Missverständnis, ja, der Todeskuss.) die Schadwirkungen des bakteriellen Krankheitserregers "Xylella fastidiosa" dokumentiert. "Xylella bewirkt das Olive Quick Decline Syndrome, das befallene Bäume schnell absterben lässt und die gesamte Olivenwirtschaft in der Region gefährdet."

Es versteht sich: Bilder für sich genommen sagen uns in aller Regel nicht viel. Ein Bild kann uns nur dann mehr als tausend Worte sagen, wenn wir wissen, was wir vor Augen haben, denn, wie schon Goethe sagte: Wir können nur er-kennen, was wir kennen. Bilder brauchen also Worte bzw. erklärenden Text, um verstanden werden zu können. Nein, nicht alle Bilder, doch die dokumentarischen. 

Die Texte, die die ausgezeichneten Aufnahmen von Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi begleiten sind höchst informativ und umfassen so recht eigentlich alles Aspekte, die diese Bilder verständlich machen, ja mehr, ihnen eine potentielle Wirkmächtigkeit verleihen, die sie ohne diese Texte definitiv nicht hätten.

Das Projekt begann 2016. Der Schädling hatte sich in der Gegend um Gallipoli gerade festgesetzt und breitete sich, begünstigt durch Klimawandel und Pestizide, schnell aus. Die Olivenhaine lagen im Sterben, die Lebensgrundlage der Bauernfamilien war dabei zu verschwinden. Wie immer, wenn Menschen nicht verstehen, was vor sich geht, sind Verschwörungstheorien nicht weit. Hilfreicher ist hingegen (wie Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi zeigen) die wissenschaftliche Herangehensweise.

Was dieses Fotografenduo hier vorlegt, ist Dokumentarfotografie vom Feinsten. Eindrücklich demonstrieren sie nicht nur, was sie vorgefunden haben, sondern auch, wie sie bei ihrem Projekt vorgegangen sind, was für Mittel sie eingesetzt, was sie selber empfunden haben. Es ist diese Mischung, die ich persönlich überaus überzeugend finde, denn hier zählt der Prozess (sie wurden von den Leuten vor Ort in deren Leben aufgenommen) genauso wie das Resultat (die Bilder mit Text).

Andjelka Badnjar, Kristina Pujkilovic, Ferdinand Ludwig, Andres Lepik (Hrsg.)
Trees, Time, Architecture
Entwerfen im Wandel
Park Books, Zürich 2025

Wednesday, 30 April 2025

My Best Shots

Swiss photographer Rene Burri once said that his best shots only exist in his head. The same goes for me. Let me give you two. With the help of my words your mind will probably conjure up somewhat similar scenes.

The first one I did not take (for I had no camera at hand) was on a dirt road up in the mountains surroundig Santa Cruz do Sul. Ricardo, the owner of the school where I then taught, was slowly manoevring the van down a steep gravel road when all of a sudden an old woman carrying wooden branches on her hunched back appeared in the middle of the road. Without any haste she veered to the side, she didn't look up but concentrated on her path. To me, this was a scene from another century. How could she live up there? I wondered. Yet what stayed with me most was that she payed no attention to us, she was dimply doing what she was doing and that was it.

The second shot I did not take was in Lat Krabang. My hotelroom had a view on the highway. Underneath the highway was a river. Every time I left the hotel, a group of ducks in a well-formed row crossed the street in order to drink some water. After that they returned in the same formation home. It was a remarkably organised procession that not only fascinated me but also a police officer on a motor bike who stopped, took out his handy and made the picture that I had wanted to make. Had I had the mental presence, I would have photographed the photographing police officer on his bike.

Sunday, 27 April 2025

Wie die Welt denkt

Der 1968 geborene Brite Julian Baggini behauptet in der Einleitung zu Wie die Welt denkt. Eine globale Geschichte der Philosophie, dass Philosophie wichtig sei (was angesichts der Tatsache, dass er studierter Philosoph ist, wenig überrascht), auch wenn der Durchschnittsmensch keine grosse Ahnung vom tieferen Sinn der Konzepte, die sein Leben informieren (die Harmonie bei den Chinesen oder die individuelle Freiheit bei den Amerikanern und Europäern) hat bzw. zu haben braucht. Doch ebenso gilt: "Dass Pawel in Krakau und Priti in Delji aufgewachsen ist, erklärt besser, warum Pawel an den auferstandenen Christus und Priti ans Karma glaubt, als jede theologische Begründung, die die beiden liefern könnten."

Wie die Welt denkt. Eine globale Geschichte der Philosophie setzt sich mit den Ideen auseinander, die unser Dasein prägen. Da Julian Baggini auch journalistisch unterwegs ist und damit einen Sinn fürs Alltägliche hat, ist dafür gesorgt, dass er sich nicht in Sphären verliert, in denen allein die intellektuelle Überheblichkeit herrscht. Dazu kommt seine vom Journalismus inspirierte Herangehensweise: Er hat für dieses Buch zahllose Gespräche mit Philosophinnen und Philosophen aus aller Welt geführt.

Die Tatsache, dass die schriftliche Philosophie in China, Indien und Griechenland in etwa zu gleichen Zeit, doch unabhängig voneinander entstanden ist (um 550 vor Christus), ist einerseits ein Rätsel, und legt andererseits die Vermutung nahe, wir Menschen verfügten wohl über mehr Gemeinsamkeiten als wir gemeinhin annehmen. Dass wir jedoch vor allem die Unterschiede leben (wollen), zeigt Autor Baggini anhand der Tagung des Indian Philosophical Congress  (IPC), bei der "eine starke Gegnerschaft gegen die westliche Kultur und Philosophie zu spüren" war.

Da mir das einschlägige Wissen abgeht, um dieses Werk angemessen würdigen zu können, beschränke ich mich auf ein paar wenige Aspekte, die meine Aufmerksamkeit geweckt haben. Auch will ich auf den gerade erwähnten IPC kurz eingehen, da er divergierende Weltanschauungen offenbar machte.

"In Europa und Amerika würde ich erwarten, dass ein Eröffnungsvortrag eine These präsentiert, die in wesentlichen Hinsichten neu und originell ist. Auf dem IPC hingegen waren die Vorträge eher Ausweise für die Belesenheit der Referenten, deren Hauptaufgabe offenbar darin bestand, eine traditionelle philosophische Schule zu repräsentieren." Man könnte dies jetzt natürlich soziologisch, historisch, ethnologisch oder psychologisch erklären. Julian Baggini erläutert die philosophische Sichtweise. "Um zu erklären, wie Philosophie betrieben wird, muss man die Ideale erklären, die diese Praxis zu verkörpern sucht. Was aber sind die Ideale, die der Art und Weise zugrunde liegen, auf die die Philosophen in Indien ihre Ideen präsentieren?"

Die Probleme, die sich bei solchen Fragen stellen, sind sowohl theoretischer (Etwa: Wie trennt man die indische Philosophie von der durch Meditation erlangten mystischen Einsicht?) als auch praktischer Natur (Autoritäten werden in der ostasiatischen Welt nicht angezweifelt). Auch erweisen sich die Gespräche mit indischen Philosophen mitunter eher verwirrend als erhellend. So befragte er eine Referentin zum Verhältnis von Religion und Philosophie, die beide stark miteinander verwoben sind. "Wir können den Leuten ihre religiösen Gefühle nicht einfach wegnehmen", sagte sie, "Religion ist eine tief verwurzelte, unbewusste Aktivität."

Speziell angesprochen haben mich die Ausführungen zur Leere. "Das Konzept der Leere ist der westlichen Philosophie ebenso fremd wie es für viele ostasiatische Traditionen von zentraler Bedeutung ist." Im Westen richtet man seine Aufmerksamkeit auf Dinge, in Ostasien schenkt man auch stets dem Raum zwischen den Dingen Beachtung. Im Westen liegt der Fokus auf dem Individuum, in Ostasien auf den Beziehungen zwischen den Individuen. Die Leere wird in Ostasien nicht nur als Absenz, sondern auch als Präsenz verstanden.

Das erinnerte mich auch an einen Beitrag in der International Herald Tribune übers Glücklichsein. Ein Foto zeigte ein lachendes Kind in einer Gruppe von Menschen. Westler automatisch assoziierten damit Glück, Japaner hingegen nur dann, wenn auch die anderen auf dem Bild lachten.

Es gibt Stimmen (etwa Stephen Hawking), die behaupten, die Philosophie habe sich überlebt, da sie mit den modernen Entwicklungen der Wissenschaft nicht mitgehalten habe. Nur eben: Viele Fragen der Philosophie gehören gar nicht in den Bereich der Wissenschaft. Man denke an Probleme der Moral oder der politischen Theorie. Und auch "um die Welt so zu erklären, wie sie uns in der gelebten Erfahrung erscheint", genügt die Wissenschaft nicht, sind metaphysische Überlegungen vonnöten.

"Der Geist-Körper-Dualismus ist im Westen zu einer so selbstverständlichen Denkweise geworden, dass man leicht glauben könnte, er sei eine Universalie der Menschheit." Nur eben: Das ursprüngliche christliche Denken war ein ganz anderes, ging es doch davon aus, dass Seele und Körper nicht getrennt seien. Man denke etwa an die Auferstehung Christi. "Nicht die Seele Jesu ist in den Himmel aufgestiegen, sondern er selbst, einschliesslich seines Körpers." Solcher Erkenntnisse wegen lese ich Bücher!

"Ideen sind weder fest an bestimmte Kulturen gebunden noch sind sie frei schwebend, universell und ortlos. Wie Menschen werden sie von einer Kultur geformt, können aber reisen." Weshalb denn auch Julian Baggini die Einnahme multipler Perspektiven befürwortet. Das heisst jedoch nicht, dass es keine universellen Überzeugungen geben kann. So sind sich alle philosophischen Schulen einig, dass "das konventionelle Selbst, die Art und Weise, wie wir normalerweise von uns selbst und anderen denken, illusorisch ist. Dieses Selbst ist lediglich ein Strom von Erfahrungen, ein Bündel von Wahrnehmungen, das keine bleibende Essenz hat." Diese Erkenntnis wiederum wird von verschiedenen Schulen verschieden interpretiert. Für Genaueres greife man zu diesem exzellent geschriebenen Werk!

Fazit: Ein Buch voller spannender Überlegungen und Denkanstösse. Höchst anregend.

Julian Baggini
Wie die Welt denkt
Eine globale Geschichte der Philosophie
C.H. Beck, München 2025